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Wanderfahrt nach Witzenhausen

Witzenhausen, die Werra. Ein Meer weißleuchtender Kirschbäume senkt sich unter den burgengekrönten Waldhängen hinab zum sanft geschwungenen Band des gemächlich dahinziehenden Flusses. Wie an einer Perlenschnur reiht sich an seinem Ufer das Fachwerk der malerischen Dörfer und Städte, die allesamt wie von Spitzweg gemalt und in einer plötzlichen Sinnesanwandlung in die Wirklichkeit entlassen scheinen.
Das hatten die WKV-Kanuten wohl im Hinterkopf, als sie für die diesjährige Osterfahrt die Werra wählten und zum Standort den gastfreundlichen Witzenhäuser Kanu-Club. Es war aber nicht der erste Mai, für die Kirschblüte war es noch zu früh und der Frühling, der ja schon mal gezeigt hatte, was er kann, hatte sich in den Süden verabschiedet. Schon auf der Anfahrt hatten die mächtig über Nordhessens Berge stürmenden Wolken so manchen Graupelschauer abgeladen. Die Temperaturen sanken gleich hinter Frankfurt in den unteren einstelligen Bereich.
Der Aufbau auf der Witzenhäuser Kanu-Wiese ging flott von der Hand, wollten wir doch so bald als möglich das Vorzelt stehen und die Heizung glühen sehen. Aber es gibt ja auch das Bootshaus und den Clubraum und in Christels warmer Stube bleibt keiner lange verfroren, zur Not wird er warmgesungen. Kurz vor Mitternacht war die kleine Wiesbadener Truppe vollzählig, zwischen dreieinhalb und sechs Stunden hatte die Anfahrt gedauert.
Am Freitag dann das volle Programm: Kalter Wind trieb Regen. Außer Norbert, der partout paddeln wollte, denn Norbert will immer partout paddeln, drucksten alle anderen schamhafte Alternativvorschläge, vielleicht eine kurze Strecke am Nachmittag, wenn es besser geworden ist... - und bekannten einander dann doch freimütig, nicht unbedingt paddeln müssen zu wollen. Zu fortgeschrittener Zeit dann die Entscheidung, Norbert wird mit Boot in Sooden-Allendorf ausgesetzt, soll er doch gucken, wo er bleibt, die anderen machen Kultur.
Die Jugendburg Ludwigstein kannten wir schon, die Thüringer Hälfte des berühmten Zweiburgenblicks, die Hanstein, war uns noch fremd. Immerhin die Stammburg des weiland berühmten Rennfahrers Huschke von Hanstein.
Eine lohnende Fahrt. Auf winzigen Sträßchen querten wir die ehemalige Grenze, kamen in ein properes Dörfchen mit allerhand freilaufendem Getier und wanderten hinauf zur erstaunlich gut erhaltenen bzw. restaurierten Ruine. Ein abenteuerlicher Anstieg auf den Bergfried - oben an die schulterschabenden Treppen in der Kuppel des Petersdomes erinnernd, nicht ganz so schief, dafür duster und mit Gegenverkehr - wurde mit einer trotz des Wetters grandiosen Aussicht belohnt. Und hier, aus luftiger Höhe, waren noch die Narben zu sehen, die man unten kaum noch erkennt: Dort war der Zaun, der Todesstreifen, dahinter läuft heute noch die Betonplattenpiste. Und im Dorf dahinter noch Bauten, die ihren DDR-Ursprung erkennen lassen, ob als LPG-Gebäude oder als Grenzer-Unterkunft.

Die schöne Kirche unter der Burg, die einen sehenswerten Altar besitzen soll, war leider verschlossen. Bei besserem Wetter hätten wir sicher auch noch das nahe Grenzmuseum besucht, an diesem Tag war es der Zufuhr an feucht-frischer Luft indes genug. Nachdem auch Norbert den heimischen Port sicher erreicht hatte, stand einem gemütlichen Vorzeltabend nach WKV-Manier nichts mehr im Wege.
Am Samstag dann ging es aber aufs Wasser. Das Wetter hatte einigermaßen aufgeklart, die runde gelbe Scheibe beglückte uns gelegentlich, wir fuhren frohgemut gen Bad Sooden, um daselbst am Reitplatz einzusetzen. Verflixt, das Sonnenöl vergessen, das brennt schon im Genick - zehn Minuten später: verflixt, wo sind bloß die Paddelpfötchen, da fallen einem ja die Finger ab. Und so blieb es dann auch, mit Wasser vermischter Wind von vorne. Fünf lange Einer und ein dicker, runder Canadier. Den hatten wir zwar zuerst aufs Wasser geschickt, aber es war abzusehen, dass er bald eingeholt sein würde. Dann fuhr er erst mal hoffnungslos hinterher. Norbert aber war partout nicht ausgelastet neben all den langsamen Binsenbummlern. Und so ließ er sich die Fangleine des Kleinen Bären ans Heck binden und keulte los. Und Jasmins Haare wehten....
Unglaublich für den, der die Strecke zum ersten Mal in den Achtzigern gefahren war, dass all diese in die Ewigkeit betoniert scheinenden Grenzanlagen so spurlos verschwunden sind. Der Wissende erkennt einen Streifen Birken und andere schnellwachsende Bäume im Buchenwald, einen Weg, dessen Verlauf keiner landwirtschaftlichen Logik folgt. Und nur selten in den Dörfern ein Haus im tristen graubraunen Einheitsputz der DDR. Allein für den hat die DDR den Untergang verdient.
Dass beim Zieleinlauf in Witzenhausen keine applaudierenden Kameraden am Ufer standen, war gut, peinlicherweise malträtierte just in dieser Schlussminute Wilma - die uns mit Werner auf dem Fahrrad begleitete - Wolfgangs Handy, so dass der ganze "Sonho" als Resonanzkörper dröhnte: brrrt, brrrt, brrrt...
Abends Hock mit Paddlern und Christel und Reinhold im Bootshaus.
Es gibt Bootshäuser, in denen die Republik zum Wohnzimmer wird. Das mag Witzenhausen sein oder Celle, Beverungen oder Bamberg, immer trifft man Leute, die mindestens jemanden kennen, den man kennt und oft ist man selbst schon miteinander gefahren. So auch hier, wo Norbert Mitpaddler aus Peine von vor... wiedertraf. Gut, morgen würden wir zusammen das vielleicht schönste Stück der Werra fahren, von Creuzburg nach Treffurt. Zwei Canadier aus Hagen schlossen sich an, gut für unser Dickschiff.

Ausgleichsversuche, die Hagener fahren gerne nach dem Aufstehen los, die Wiesbadener nach den Frühstück. Wir einigten uns auf 10 Uhr
Und hielten sie ein! Immerhin fährt man eine gute Stunde nach Creuzburg. Dort eine Begegnung der besonderen Art: Ein Trike mit einem Wohnwagen im Schlepp. Und da sagen manche, Paddler seien verrückt. Das Wetter sah vielversprechend aus, entsprechend gut die Stimmung. Wir genossen die herrliche Landschaft, die Sonne, sonderlich warm wurde es nicht, später kam auch ordentlich Gegenwind auf, dennoch - es war eine herrliche Fahrt. Bezeichnend, dass beim Anblick der Felsen jemand die zwölf Apostel erwähnte. Obwohl es auf diesem Abschnitt der Werra viel enger zugeht als an der Altmühl.
Rast am Wehr in Miehla. Die Fahrradmarketenderei kam angerollt und wies auf ein nettes Lokal am linken Ufer hin, was uns nichts nützte, zu Fuß war es zu weit, mit dem Boot kommt man dort nicht raus. Ach, was waren das für Zeiten, als die Radler den Paddlern die Dahner Birnenschmandkuchen und die Bamberger Bratwürste ans Boot brachten.... Wilma, das müssen wir noch mal abklären!! Immerhin brachten uns die Radfahrer die Autos und den Hänger an die Aussetzstelle.
Entschädigt wurden wir durch eine Einkehr in der Propstei Zella. Hotel und Restaurant in historischem Gemäuer, von Norbert nach zehn Jahren nicht wiedererkannt: Es tut sich was im Land. Danach zog es sich zum nächsten Wehr und dann bis Treffurt, dessen Burg zwischen den Bäumen hin und her wanderte wie ein Irrwisch, aber einfach nicht näher kommen wollte, die Konversation wurde spärlich, eigentlich hätte in Zella Schluss sein können.
An diesem Abend wurden wir nicht alt.
Für die weiteren Etappen, Treffurt-Eschwege oder von dort nach Sooden-Allendorf, die doch als Schönwetteretappen durch offenes Land führen, hatten wir angesichts der Wetter- und Windlage keine Lust, so dass sich die Gruppe am Montag nach dem Auftauen der Wiese - immerhin brachte die Nacht vier Grad minus - aufteilte.
Wanderer stürmten den sagenumwobenen hohen Meißner und "wateten" im Restschnee, Radfahrer versuchten, Schloß Berlepsch zu erkunden, blieben aber außen vor wegen Privatbesitz und zweie fuhren in die Thomas-Müntzer-Stadt Mühlhausen. Ein gemischtes Erlebnis: Eine unbedingt sehenswerte Stadt. Sehr viel sehr schön restauriert. Viel mehr in schlimmem Zustand. Der unbedingt gute Eindruck, den man in Thüringer Dörfern und Kleinstädten gewinnt, hier wird er zunichte, was auch immer die Gründe sein mögen.
Am Nachmittag reisten die ersten ab, eine kleine Truppe wärmte sich noch einmal im Vorzelt, um dann am Dienstag die Heimreise anzutreten.
So schlimm das Wetter sein mag, wenn man auf eine solche Fahrt geht - nach wenigen Wochen bleibt, wenn sonst alles stimmig war, nur eine positive Erinnerung. Und eigentlich ist ja nicht einmal das Wetter schlimm. Wir hatten uns nur nach dem Winter eine Osterfahrt in den Frühling gewünscht. Und so etwas klappt nun mal nicht immer.
Wenn unterm Strich die Fahrt eine gelungene war, ist das auch den Kameraden und Paddlern und der Christel in Witzenhausen zu danken, die dort eine großartige Atmosphäre schaffen.
Danke, wir kommen wieder.

Wolfgang Jörg

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